Da heute gern und oft, gelegentlich auch falsch, Nachhaltigkeit im Munde geführt wird, scheint eine kurze Erklärung zu Bedeutung und Historie überfällig.
Ursprünglich noch "nachhaltend" geheißen taucht dieser Begriff in der Literatur erstmals 1713 auf. Aufgeschrieben hat ihn Hans Carl von Carlowitz, ein Sachse von altem Adel. Er wurde 1645 als Sohn des kursächsischen Oberforstmeisters Georg Carl von Carlowitz in Oberrabenstein bei Chemnitz geboren. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Jena, widmete sich auch Naturwissenschaften und Bergbau. 1677 wurde er zum Vize-Berghauptmann und 1711 zum Oberberghauptmann am kursächsischen Hof ernannt. Damit war er auch für die unentbehrliche Holzversorgung des Bergbaus verantwortlich.
Im Erzgebirge wurden damals vor allem Silber und Zinn abgebaut. Dies geschah unter Tage indem das umschließende harte Granit-, Basalt- und Porphyrgestein mit Holzfeuer mürbe gemacht und anschließend Schicht für Schicht mit Hammer und Schlegel abgeschlagen wurde. Für diese Feuer wurden große Mengen Holzscheite benötigt. In der Folge verkahlte das im 11. Jahrhundert noch voll bewaldete Erzgebirge zusehends. Der Bergbau drohte wegen Holzmangels zum Erliegen zu kommen.
Carlowitz fasste, um seines Brotherren, des Kurfürsten ungebremsten Hunger nach Silber künftig stillen zu können, seine Erfahrungen und Überlegungen zusammen und verband sie mit früheren zu vergessen drohenden forstlichen Kenntnissen. Ein Jahr vor seinem Tode erschien 1713 sein Werk "Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht", das erste geschlossene Werk über Forstwirtschaft.
Auf den Seiten 105 und 106 formulierte er: "Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Dasein nicht bleiben mag."
In heutigen Worten kann man auch sagen, dass die Erhaltung und kontinuierliche Nutzung des Waldes erfordert, jährlich nur solche Mengen Holzes zu schlagen, wie im Laufe des Jahres auch (an anderen Bäumen des Reviers) nachwächst. Irgendwann ist dann aus nachhaltender Nutzung Nachhaltigkeit geworden. Das hat aber außer den Forstleuten niemand weiter interessiert und kaum einer gewusst.
Erst seit 1987 geistert die Nachhaltigkeit unablässig durch Gazetten und Pamphlete. Im April diesen Jahres veröffentlichte die World Commission on Environment and Development (Weltkommission für Umwelt und Entwicklung) der Vereinten Nationen den Abschlussbericht Our Common Future (Unsere gemeinsame Zukunft). Diese Kommission wurde geleitet und geprägt von der norwegischen Ärztin und Politikerin Gro Harlem Brundtland, weshalb sie gelegentlich kurz Brundtland-Kommission genannt wird.
Brundtland wurde 1939 nahe Oslo geboren und studierte in Oslo und an der Harvard-Universität Medizin. Danach praktizierte sie ab 1965 als Ärztin in Norwegen. Sie war schon als Jugendliche politisch aktiv. Ende der siebziger Jahre wurde sie Umweltministerin und 1981 erstmals Ministerpräsidentin. Diese Funktion hatte sie noch 1986 bis 1989 und 1990 bis 1996 inne; außerdem stand sie bis 1992 der Arbeiterpartei in Norwegen vor. Von 1998 bis 2003 war sie schließlich Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Vereinten Nationen.
Im Bericht über Unsere gemeinsame Zukunft werden dem Konzept einer nachhaltigen Entwicklung zwei Definitionen zugrunde gelegt:
- "Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können." Diese sogenannte intergenerative ökologische Gerechtigkeit oder Generationengerechtigkeit ist seitdem in jedem internationalen Abkommen enthalten, in dem es irgendwie um Umwelt geht, also eigentlich immer.
- "Im wesentlichen ist dauerhafte Entwicklung ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potential vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen."
Diese Forderung einer ganzheitlichen, auch wieder so ein populäres Schlagwort, Verhaltensänderung, wird seltener erhoben, da hier politisch kaum Konsens erreichbar ist.
Der mit diesem Bericht eingeleitete Beginn eines weltweiten Diskurses über Nachhaltigkeit jeder Entwicklung führte auch zu den teils umstrittenen Umweltgipfeln in Rio de Janeiro (1992), Kyoto (1997) und Kopenhagen (2009).
In Kenntnis dieser doch recht einfachen und einleuchtenden Zusammenhänge mutet es abenteuerlich an, wie von unbedarften Journalisten, selbstgefälligen Managern und geltungssüchtigen Politikern der Begriff der Nachhaltigkeit missbraucht wird. Man achte nur mal beim Konsumieren diverser Medien darauf, wie einer "nachhaltig" beeindruckt ist, ein anderer "nachhaltig" für irgendetwas Sorge tragen oder "nachhaltig" auf den Weg bringen will. Ein Schreiberling kennt beispielsweise "... Unterschiede, die eine eventuelle Kaufentscheidung (von Autos) nachhaltig beeinflussen können."
Bedauerlich aber leider nicht mehr ungewöhnlich, dass selbst der Duden vor ständigem Wortmissbrauch kapituliert und nun nachhaltig auch für "sich für länger stark auswirkend" zulässt. Damit ist der fast inflationäre Gebrauch des Wortes Nachhaltigkeit also gar nicht mehr falsch, in den meisten Fällen allerdings nur Effekt heischend oder schlicht albern. Zumindest war das so, als ich diese Zeilen im Jahre 2010 schrieb. Mittlerweile ist nachhaltig wohl zum unverzichtbaren modischen Ersatz für sowohl nachdrücklich wie anhaltend geworden. Ein Aufbegehren gegen diese Verarmung unserer Muttersprache scheint aussichtslos.
Alles fließt, alles ändert sich, nun auch meine Zuneigung zu Wort und Bedeutung der "Nachhaltigkeit". Das Fass zum Überlaufen brachte ausgerechnet die "Sächsische Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft e.V. zur Förderung der Nachhaltigkeit" in Chemnitz. Die verlieh ihre undotierten Preise 2018 an den Schauspieler Hannes Jännicke und 2019 an das kranke Kind Greta Thunberg. Hatte von Carowitz mit Begründung der Forstwirtschaft noch das Wohl seines Landesfürsten (Silberabbau) und der Menschen überhaupt, schließlich war damals Holz als Brenn- und Baumaterial tatsächlich alternativlos unersetzlich und die Bedeutung des Waldes für den Wasserhaushalt, Luft, Flora und Fauna immens, im Auge, stellt sich die heute allgegenwärtige Nachhaltigkeit ganz anders dar. Als die UNO (Brundtland) noch die Erhaltung bestehender Lebensverhältnisse erstrebenswert hielt war das wohl als Voraussetzung für die eigenverantwortliche Entwicklung künftiger Generationen gedacht. Wer weiß aber schon, wie diese sich entwickeln wollen (oder müssen)? Ich kann ihnen durchaus zutrauen, anstehende Probleme selbst zu lösen und mit vorhandenen Voraussetzungen zurecht zu kommen. Deshalb ist esüberflüssig bis abartig, Nachhaltigkeit am Festhalten des Bestehenden zu definieren, dem "Klimawandel" also nicht zu trotzen sondern verhindern zu wollen.
Ich werde also künftig bei aller Hochachtung für die Leistungen des von Carlowitz das Wort "nachhaltig" vermeiden und auch nicht als überflüssige Abkürzung für "nachdrücklich und anhaltend" benutzen.