Sprache entwickelt sich. Diese Binsenweisheit wird gelassen zur Kenntnis genommen. Gelegentlich stellt sich allerdings Unbehagen ein, wenn sie einem penetrant von zweifelhafter Aussagekraft in die Quere kommt.
In der DDR war es bei Sportveranstaltungen und politischen Demonstrationen üblich, seine kollektive Begeisterung damit auszudrücken, dass gemeinsam lautstark von zehn an rückwärts gezählt und anstelle der Null „Klasse“ gebrüllt wurde. Dabei stand Klasse vorzugsweise für Spitzenklasse, Erste Klasse oder so. Schon damals beschlich einem gelegentlich das Gefühl, dass die so bejubelten Akteure womöglich allenfalls Mittelklasse waren.
In der alten Bundesrepublik wurden natürlich andere Akzente gesetzt. Infolge der Lockerung der Reisebeschränkungen konnten Mitte der Achtziger Jahre viele ihre weitläufigen Verwandte im Westen besuchen. Ein Mitbringsel war in jedem Fall „super“. Nahezu alles Gute und Schöne war nun nicht mehr nur schön und gut, sondern mindestens super. Reste davon haben sich in Ost und West bis heute gehalten: wem die Worte ausgehen, seine Begeisterung gebührend ausdrücken zu können, stellt jedem Adjektiv mindestens ein super, gern auch noch toll oder so voran.
Bemerkenswert ist das Vokabular der Journalisten, wenn sie vor allem in speziellen Publikumszeitschriften oder im Fernsehen über neue Autos berichten. Habe ich früher vor Begeisterung über den leichten, schnoddrigen Stil der Schreiber deren stereotypen Unzulänglichkeiten gar nicht bemerkt, so gingen mir später ihre einfallslosen, viel zu häufigen und oft genug unpassenden Wiederholungen um so mehr auf den Geist. Besonders die Jahre, in denen an einem wohlmeinend beschriebenen Fahrzeug alles „knackig“ war, sind mir in bleibender übler Erinnerung geblieben. Damals waren zumindest alle gelungenen Fahrzeughecks und Schaltungen knackig.
Heute sind dieselben Leute und deren Nachfolger immer von wertigen Innenausstattungen angetan. Ich weiß zwar nicht, ob sie hoch- oder minderwertig meinen, nehme aber an, es ist minderwertiger Schund, den sie verzückt beschreiben. Warum sollten sie sich scheuen, das Wort hochwertig zu benutzen, wenn hohe Ansprüche bedient werden?
Seit Fernsehsender zahllose Sendeminuten und Verlage große Büchermengen mit Kochen und Rezepten füllen, beherrscht ein Wort jede Szene: lecker! Keiner sagt oder schreibt mehr schmackhaft, delikat, vorzüglich, aromatisch, herzhaft oder womit einst wohlschmeckende Speisen und Getränke beschrieben wurden – heute ist alles lecker, manches gar super lecker. Sind womöglich die Geschmacksempfindungen heute genauso eintönig und einfallslos wie die Sprache der allgegenwärtigen Kochwilligen geworden?
Schließlich sei an dieser Stelle noch das unsägliche Modewörtchen geil genannt. Meine Generation, total veraltet, konservativ, spießig (siehe daselbst), benutzt es nicht, zumindest nicht in der Öffentlichkeit (wie verklemmt ist das denn!). Geil hieß und heißt für uns, dass Sex den Verstand ausschaltet oder zumindest überlagert, alles Sinnen und Trachten nur auf schnelle sexuelle Befriedigung ausgerichtet ist. Notgeil oder Torschlusspanik liegen auch in diesem Territorium. Für uns wurde darüber und mit diesen und ähnlichen Worten öffentlich nur in der Studentenbude, am Stammtisch oder im betrunkenen Zustande gesprochen. Was hinter verschlossenen Türen gesagt wurde, geht nur die beiden oder meinetwegen drei Betreffenden etwas an, wenn es allen Spaß macht.
Ruft ein Junger (Teenie, Kid ?) voller Begeisterung beim Anblick seines neuen Smartphones „Wow, wie geil!“ aus, frage ich mich zwar, was soll das mit Sex zu tun haben, aber na ja. Wenn aber ein Alter nicht gemerkt hat, dass er in die Jahre gekommen ist und sein neues LED-TV-Gerät „einfach geil“ findet, klingt das zumindest befremdlich.
Da habe ich bis hierher nur über Entwicklung und Gebrauch der deutschen Umgangssprache parliert. Ein noch weiteres Feld wogt beim scheinbar unaufhaltsamen Durchdringen des Englischen in meine Muttersprache. Wie auf nahezu allen anderen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens ist dagegen nichts zu sagen, allerdings macht die Dosis das Gift oder „allzu viel zerreißt den Sack“, wie Luther meinte. Manches, was es erst seit Kurzem gibt, lässt sich kurz und knapp und exakt und weltweit englisch benennen. Wenn aber gedownloadet und geswitcht werden muss, hört zumindest mein Verständnis für weltumspannende Neuzeit auf.