Es ist noch nicht lange her, da wurden heftige Diskussionen um die Vorteile einer neuen Generation von Autoscheinwerfern geführt, deren gleißende Helle mittels Xenon-Lampen erzeugt wurde. Mittlerweile nutzen die Hersteller von Fahrzeugscheinwerfern und anderen Leuchten die exzellenten Eigenschaften von Licht emittierenden Dioden LED und schieben damit Xenonlampen aufs Altenteil. In dieser kurzen Phase der technischen Entwicklung ist immerhin der Namen eines chemischen Elements ins Licht der Öffentlichkeit gerückt worden, das bislang kaum beachtet in einem hundertjährigen Dornröschenschlaf lag.

Schon die Geschichte, wie Xenon aufgespürt wurde, ist äußerst interessant. Und nun überrascht es uns auch noch mit neuerdings entdeckten erstaunlichen Eigenschaften und ungeahnten Fähigkeiten.

Wir wissen vielleicht noch aus dem Chemieunterricht, dass Xenon im Periodensystem die Ordnungszahl 54 hat und ein Edelgas ist. Das waren doch die Elemente der VIII. (oder nullten?) Gruppe, um deren Atomkerne die Elektronen nur in kompletten und daher sehr stabilen äußeren Schalen kreisen und die deshalb kein Verlangen zeigen, sich mit anderen Atomen oder Molekülen zu verbinden. Wegen ihrer buchstäblichen Reaktionsträgheit werden sie Edel- oder Inertgase genannt. Sie sind aber nicht nur edel im Sinne von rein, farb- und geruchlos, sondern auch rar. Außer Radon, das beim Zerfall des Radiums entsteht und auch im Grubengas nachweisbar ist, kommen Edelgase auf der Erde fast ausschließlich und nur in verschwindend geringer Menge in der Atmosphäre vor. 10 000 m³ Luft, also ein Raum von 20 mal 25 mal 20 Meter, enthalten an diesen einatomigen Gasen lediglich 94 m³ Argon, 160 l Neon, 46 l Helium, 10 l Krypton und nur einen Liter Xenon. Wegen ihrer Eigenschaften und ihres geringen Vorkommens wurden die Edelgase erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt, wenngleich schon 1785 der englische Gelehrte Henry Cavendish, bekannt geworden durch die Entdeckung von Kohlendioxid und Wasserstoff, vermutet hatte, dass in der Luft außer den damals schon bekannten Hauptbestandteilen noch ein weiteres Gas sein müsste.

Die Entdeckung der Edelgase begann mit der Sonnenfinsternis von 1868. Norman Lockyer und Jules Janssen testeten, übrigens unabhängig voneinander, die gerade erfundene Spektralanalyse und fanden damit im Sonnenlicht die Spektralfarben eines unbekannten Elementes. Auf Lockyers Vorschlag wurde es Helium, vom griechischen helios (Sonne), genannt.

1892 bemerkte John William Rayleigh, dass ein Liter aus Luft gewonnener Stickstoff 2 mg schwerer ist, als einer aus der Zersetzung von Stickstoffverbindungen gewonnener. Er konnte sich dies nicht erklären und rief deshalb in der wissenschaftlichen Presse seine Kollegen auf, zur Klärung dieses Phänomens beizutragen. Gemeinsam mit Sir William Ramsay konnte er 1894 in diesem schwereren Stickstoff ein weiteres Gas nachweisen, das sie nach dem griechischen argos (träge, untätig) Argon nannte.

Dieser William Ramsay, 1852 in Glasgow geboren, war zu dieser Zeit Professor in London und beschäftigte sich auch nach dem Hilferuf Lord Rayleighs vornehmlich mit der Analyse und der Chemie von Luft. Für seine außerordentlichen Verdienste wurde Ramsay 1902 geadelt und erhielt 1904 den Nobelpreis für Chemie. Er starb 1916 in der Nähe von London.

Im Jahre 1895 machte man Ramsay auf die vergessene Entdeckung des Geologen Hildebrand aufmerksam. Der hatte einige seltene Mineralien aus Norwegen und Zypern in Schwefelsäure erhitzt und dabei bemerkt, dass sie ein Gas ausscheiden, das weder selbst brennt, noch die Verbrennung anderer Stoffe unterhält. Ramsay nahm sich der Sache an und fand spektralanalytisch heraus, dass es sich bei diesem Gas um das gleiche Helium handelte, das bisher nur in der Analyse des Sonnenlichts, also im außeririschen Raum, nachgewiesen worden war. Später wurde es auch in Mineralwässern Süddeutschlands und Böhmens gefunden.

Das von Carl von Linde entwickelte und 1895 patentierte „Verfahren zur Verflüssigung atmosphärischer Luft oder anderer Gase“ war nach der Spektralanalyse ein weiterer Meilenstein bei physikalischen und chemischen Erforschung der Gase. Nachdem Argon und Helium entdeckt und in das Periodensystem der Elemente (von Mendeleyev 1869 aufgestellt) eingeordnet waren, konnte man die Existenz weiterer noch unbekannter Elemente erwarten, die die vorhandenen Lücken in diesem System schließen würden.

Ramsay vermutete schon früher, dass in der Luft weitere Bestandteile enthalten sein müssten. Schließlich entdeckte er 1898 mit seinem Assistenten Morris W. Travers spektrolytisch ein neues Element. Sie nannten es Neon (griechisch: neu). Im Jahre 1898 gelang es den beiden Wissenschaftlern, ein weiteres Gas aus verflüssigter Luft zu gewinnen, dem sie wegen der besonders mühevollen und aufwändigen Analyse den Namen Krypton (griechisch: kryptos = verborgen) gaben. In ähnlicher Manier fanden sie schließlich auch Xenon (griechisch: xenio=fremd). Um den Aufwand ermessen zu können sei nur erwähnt, dass sie damals 77,4 Millionen Liter Luft verarbeiten mussten, um von den darin enthaltenen sechs Litern Xenon lediglich 300 cm³ gewinnen zu können!

Das schwerste der Edelgase wurde 1900 von dem Franzosen Debierne und den Engländern Rutherford und Soddy entdeckt. Der von Ramsay vorgeschlagene Name Niton (griechisch: nitens=glänzend, weil es im Dunkeln leuchtet und Zinksilikat glänzen lässt) wurde 1931 auf internationalen Beschluss durch Radon ersetzt, da es entsteht, wenn radioaktives Radium zerfällt.

Das Wissen um die Beschaffenheit und Zusammensetzung der Natur ist das Eine, seine zweckdienliche Anwendung zum Wohle der Menschheit das Andere. Aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen vom Vorkommen und von der Beschaffenheit der Edelgase konnte lange Zeit kein nennenswerter praktischer Nutzen gezogen werden. Bei der Erforschung der Elektrizität fand man heraus, dass in ein Glasrohr eingeschlossenes Neon bei Stromdurchgang scharlachrot leuchtet und Argon blau.

Dieses so genannte Neonlicht, noch heute gelegentlich und noch immer falsch als Bezeichnung für Leuchtstofflampen gebraucht, durchdringt sogar Nebel und wurde deshalb zunächst für die Seefahrt und bald als Leuchtreklame verwandt. Diese einfache Lichtquelle wurde übrigens in jüngster Vergangenheit auch von der Fahrzeugindustrie in schnell ansprechenden Blink- und Bremsleuchten genutzt.

Um die Haltbarkeit und Lichtausbeute von Glühlampen zu erhöhen, experimentierten die Hersteller mit den unterschiedlichsten Füllgasen. Der zunächst verwandte Stickstoff wurde sehr erfolgreich durch das bei der Ammoniaksynthese anfallende und demzufolge leicht zu beschaffende Argon ersetzt. Noch höhere Lichtausbeute bei geringerem Stromverbrauch gelang mit einem Gemisch von Krypton und Xenon, weil damit die Temperatur des Glühfadens um 100 Grad auf 2500°C erhöht werden konnte. Die ziemlich großen und schweren Edelgasatome verhindern nicht nur die Korrosion des Glühfaden, sondern vermindern auch den Wärmetransport zu den umgebenden Glaskolben. Diese Lampen wurden vorwiegend für Blitzlichter in der Fotografie verwendet. Das gilt auch für unsere Xenon-Lampen in den heute weit verbreiteten Autoscheinwerfern. Als Lichtquelle dient hier allerdings kein Glühdraht, sondern ein Lichtbogen in einer xenonhaltigen Atmosphäre zwischen zwei Elektroden. Die eigentliche Lichterzeugung geschieht durch Metall-Salze, die in diesem Lichtbogen verdampfen und entsprechend ihrer Spektrallinien sichtbares Licht erzeugen. Auch das Xenon-Gas selbst leuchtet bereits in dieser Verdampfungsphase und sorgt für einen schnellen Anlauf der Lichterzeugung.

Außer in der Lichttechnik findet Xenon vor allem in der Medizin breite Anwendung. Es sorgt vor allem mit seinen phänomenalen Eigenschaften als Anästhetikum für Furore. Dass man Xenon als Betäubungsmittel nutzen kann, ist seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt. Praktisch angewandt wurde es erstmals 1951. Die für die zweistündige Narkose benötigten 12 Liter Xenon kosteten damals eintausend DM.

Allerdings gab es bei seiner Verwendung als Narkosegas Probleme, weil es deutlich schwerer ist als Luft und sich so in der Lunge ansammelt. Professor Georgieff von der Universität Ulm band in den neunziger Jahren das Edelgas an eine Fettlösung und verabreichte es intravenös, mehrfach auch sich selbst. Dadurch konnte die Menge des benötigten Gases auf 150 Milliliter reduziert werden. Positive Nebeneffekte der Xenon-Narkose sind laut Georgieff, dass der Patient schnell wieder aufwacht und sofort fit ist. Außerdem wirke es sich nicht negativ auf die Atemfunktionen während der Operation aus. Das radioaktive Isotop 133Xe wurde 1999 erfolgreich in der Ventilations-Szintigraphie (eine Art Durchleuchtung) von Mittelohren und Nasennebenhöhlen eingesetzt.

Breitere praktische Anwendung findet Xenon im Bauwesen als Füllgas von Thermoscheiben. Hier nutzt man seine thermodynamische Trägheit zur Verminderung der Wärmeverluste durch die Fenster. Auch in der Kerntechnik hat sich Xenon etabliert, als Füllstoff von Zählrohren, auch Geigerzähler genannt, und als Elektronengift zum Kontrollieren oder Abbrechen der nuklearen Kettenreaktion.

Eine weitere zukunftsträchtige Nutzung steht dem Edelgas als Treibstoff in der Raumfahrt bevor. Bereits 1998 gelang es der NASA, ihrer Raumsonde Deep Space 1 als Antriebssystem ein Xenon-Ionentriebwerk zu installieren. Vorteile dieses Antriebs mit einer Schubkraft, die vergleichbar ist mit dem irdischen Gewicht eines Blattes Papier, sind die Zuverlässigkeit und die zehnfache Effektivität gegenüber dem damals gebräuchlichem Raketentreibstoff. Die DS 1 war übrigens sehr erfolgreich: sie erfüllte ihre Mission nicht nur wie geplant am Asteroiden Braille sondern auch noch beim Kometen Borelly ehe sie 18. Dezember 2001 abgeschaltet wurde. Auch die am 27. September 2003 von der ESA gestartete 366 kg schwere Sonde smart-1 zur weiteren Monderkundung verfügte als Antrieb über ein hocheffizientes Xenon-Ionentriebwerk. Bis zum planmäßigen Aufprall der Sonde auf dem Erdtrabanten am 4. September 2006 funktionierte dies zuverlässig und hatte nach etwa 100 Millionen Kilometern lediglich 60 Liter Xenon verbraucht. Die Energie wurde mittels Solarzellen (so genannten Sonnensegeln) gewonnen.

Dass es mit der Reaktionsträgheit der Edelgasatome möglicherweise gar nicht so weit her sei, ahnte schon 1933 der spätere Nobelpreisträger Linus Pauling. Er hielt damals Verbindungen mit den Edelgasen Xenon und Krypton durchaus für möglich. Doch erst 1962 konnten der in Kanada lebende englische Chemiker Neil Bartlett und der deutsche Chemiker Rudolf Hoppe erste Komplexverbindungen des Xenons herstellen. Bartlett ließ Xenon mit Platinhexafluorid reagieren (zu XePtF6) und Hoppe synthetisierte Xenon(II)-fluorid XeF2.

Nachdem es Mitte der neunziger Jahre einem Team um den Finnen Markku Räsänen von der Universität in Helsinki mit trickreichen Versuchen gelungen ist, auch Argon in eine stabile Verbindung mit Wasserstoff und Fluor zu zwingen, sind Helium und Neon die einzigen Edelgase, deren Bindungsunfähigkeit (bis jetzt) nicht dementiert werden kann. Allerdings konnte Professor Konrad Seppelt von der Freien Universität Berlin im Jahre 2000 die erste Edelgas-Metallverbindung herstellen: ein Tetra-Xenon-Gold(II)-Kation.

Inzwischen sind weitere komplizierte Verbindungen bekannt, die Xenon auch mit Stickstoff und Kohlenstoff eingeht.

Nicht nur die chemische Reaktions(un)fähigkeit der Edelgase ist heute Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. An der Universität Münster spielt seit 1996 das Xenon bei der Antimaterie-Forschung eine wichtige Rolle.

Das Max-Planck-Institut für Kernphysik (Heidelberg) verwendet bei der Suche nach dunkler Materie, den so genannten Wimps (Weakly Interacting Massive Particles), im internationalen Gran-Sasso-Untergrundlabor flüssiges Xenon. Das Projekt Xenon 100 brachte bis 2011 nicht das erhoffte Ergebnis. Nun wird das Nachfolgeexperiment Xenon1T vorbereitet, bei dem eine ganze Tonne Xenon als Wimp-Falle fungieren soll. Das seltene Edelgas ist schon beschafft und wird derzeit gereinigt.

Wir können sicher sein, dass die Elemente der scheinbar so trägen und langweiligen Edelgasgruppe noch manche Überraschungen bereithalten und unser Leben in naher Zukunft nicht nur mit extrem hellen Scheinwerfern und verträglichen Narkosen bereichern werden.

FUVI0111ADANAUL
FREE Joomla! template "Adana"
joomla 1.6 templates by funky-visions.de